Am Ende meiner Workshops frage ich die Teilnehmenden danach, was sie empfinden, was sie mitnehmen und natürlich auch, was sie lieber da lassen möchten. Wenn sich die Gruppe erst im Workshop kennengelernt hat, höre ich bei solchen Gelegenheiten häufig Folgendes: Es sei ganz erstaunlich, wie schnell aus den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein gut gelauntes Team geworden sei…strahlende Augen und Nicken ringsum! Quasi Fremde seien innerhalb weniger Stunden zu einer harmonischen Einheit geworden. Darüber freue ich mich natürlich und genieße das Gefühl. Doch ich frage mich, warum das regelmäßig gelingt. Liegt es an den Methoden und Übungen, die ich während der Coachings einsetze? Oder am Design Thinking Prozess?
Ich habe ein Repertoire an Übungen, die gemeinhin als “Teambuilding” bezeichnet werden. Zu meinen Favoriten gehören das Schnick-Schnack-Schnuck-Turnier, die Superkräfte des Gegenüber ergründen und als Prototyp darstellen und die meisten Übungen aus meinen Impro-Kursen, die freies Assoziieren fördern. Manchmal setze ich eine Übung daraus bewusst zu Beginn des Workshops oder Sprints ein, doch im Verlauf der Tage denke ich selten weiter darüber nach. Was also ist es, das eine Gruppe über Tage zusammenwachsen lässt? Die Wirkung dieses einen Spiels zu Beginn? Wohl kaum.
Ich vermute, das Gegenteil ist der Fall. Was die Teamarbeit im menschzentrierten Innovationsprozess harmonisch macht, sind nicht die Übungen, die auf Zusammengehörigkeitsgefühl und Einheitserfahrung zielen! Es sind die bewusst gesetzten Grenzen, die Unterschiede und Trennungen, auf deren Einhaltung ich im Prozess stets großen Wert lege.
Die “große Trennung” zwischen Problem und Lösung
Zunächst mache ich den Teilnehmenden unmissverständlich klar, wie immens wichtig mir die Trennung zwischen Problemraum und Lösungsraum ist. Diese Abgrenzung ist für mich Grundlage und Schlüssel des Design Thinking Ansatzes. Doch sie ist ebenso wirksam in Teamdynamiken. Wenn wir auf jedes geäußerte Problem in einer Gruppe mit dem reflexhaften Rausschleudern einer (gut gemeinten) Lösung reagieren, bleibt empathisches Erkunden auf der Strecke. Viele Menschen wollen eher nur gehört werden, als Handlungsoptionen bekommen.
Die Grenze zwischen Kreativität und Analyse
Mindestens genauso wichtig ist die strikte Trennung zwischen Ideenfindung und Ideenbewertung! Wenn wir kreativ arbeiten, dann versuchen wir maximale Freiheit im Fluss der Ideen zu generieren. Erst wenn uns partout nichts mehr einfällt und die Zeit zum Priorisieren da ist, kritisieren und analysieren wir gemeinsam unsere Ideen. Dann aber bitte richtig: Hart, schnell und ohne Rücksicht auf Ownership oder die Person, deren Idee es war. Es geht darum, die beste Idee aus Sicht der Nutzerin zu finden und nicht darum, ob sich jemand aus dem Team vielleicht benachteiligt fühlt, weil seine oder ihre Idee weniger Punkte bekommt. Und auch nicht darum, welche Idee dem bzw. der Product Owner gefallen würde. Und schon gar nicht darum, was wohl dem am Nächsten kommt, was die Chefin schon immer wollte.
Der Unterschied zwischen Fakten und Interpretation
Um die Ergebnisse von Interviews mit Nutzerinnen oder Kunden im Team zu teilen, lohnt es sich nach meiner Erfahrung, konsequent nur Zitate zu präsentieren. Die ersten User Stories dürfen nur aus Beobachtungen und echten Aussagen der Interviewees bestehen. Erst wenn diese am Board präsentiert und von allen verstanden sind, tun wir bewusst einen Schritt über die Grenze zur Interpretation: Wir nutzen eine Technik, die heißt: “I wonder if this means…” Damit wird sehr deutlich, dass hier der Interpretationsraum beginnt, in welchem nun wieder freies Assoziieren erlaubt und gewünscht ist. So fahnden wir nach versteckten Bedürfnissen, die nur durch unsere Interpretation gefunden werden können. Denn wer offenbart schon seine tiefen Bedürfnisse und Ängste in einer Interviewsituation? Wir schaffen es ja selbst selten genug, uns unserer eigenen Bedürfnisse bewusst zu werden.
Diese Trennung entlastet ein Team dahingehend, dass nicht gehadert werden muss, wer den Boden der Tatsachen verlässt und ob etwas “wieder mal nur reine Interpretation” sei. Ja, es ist Interpretation und alle wissen es!
Die Trennung zwischen Teamflow und Wettkampf
Wenn wir bei openmjnd Sprints mit mehreren Teams durchführen, spielen wir gerne zwischen den intensiven Arbeitsphasen unsere “Unicorn Games”. Darin treten die Teams in lustigen Wettkämpfen gegeneinander an. Es gibt Punkte und klare Sieger und Verlierer. Das ist witzig und jede/r kann sofort einsteigen. Warum? Weil wir den Wettkampf und das Gewinnen wollen seit früher Kindheit eingeübt haben. Das machen wir uns zunutze, indem wir dem kompetitiven Drang der Menschen einen Kanal öffnen. Alle kämpfen um den Sieg über die andern, danach wird geklatscht und gelacht und wir arbeiten im Anschluss wieder als Team zusammen. Auch hier ist die Trennlinie scharf: Bei der Arbeit an einem Innovationsziel gibt es kein Wettkampf innerhalb des Teams, alle Ideen gehören der Gruppe! Bei unseren spielerischen Elementen in den Pausen geben wir alles, um zu gewinnen!
Flow durch Grenzen
Für mich gibt es beruflich kaum etwas Erhebenderes als ein Team im Flow – wenn ich Teil einer Gruppe von Gleichgesinnten werde, die an einem Strang zieht und effektiv und ergebnisorientiert arbeitet. Meine These ist, dass dieser Zustand verhindert wird, wenn es zu wenig Grenzen und Trennungen gibt! Häufig vermischen sich im (Arbeits-) Alltag Probleme mit vermeintlichen Lösungen. Probleme soll es nicht geben. Wer eines äußert, hört meistens: “Ach, da machen wir einfach xy…” Man bekommt häufig so schnell eine (vermeintliche) Lösung präsentiert, dass man sich ein wenig dumm vorkommt.
Ideen werden ad hoc kritisiert oder wenigstens analysiert. Mindestens aber werden sie kommentiert. Meistens mit dem sehr verbreiteten Kreativitäts-Killer: “Das erinnert mich an… Das ist doch dasselbe wie…” Oft ist unklar, ob und wann eine Idee auf Umsetzung drängt und wer über sie entscheidet. Und wer hat denn letztlich die Arbeit damit? Sofort kommt Konkurrenz und Wettkampf ins Spiel: Wer präsentiert die Idee wem, um möglichst viele Lorbeeren zu ernten? Wie steckt man möglichst schnell seinen Claim am wirkungsvollsten ab?
Das Unbehagen, das viele Menschen in traditionellen Arbeitszusammenhängen empfinden, entsteht nicht aus zu vielen sondern aus zu wenigen Grenzen. Ein guter Teamprozess separiert klipp und klar all die oben genannten Phasen und Bedingungen, denn durch Trennungen und Grenzen entstehen Zusammenhalt und Sicherheit. Lasst uns auf die Einhaltung der Grenzen pochen, damit endlich Freiheit im Team-Flow entsteht!
Mein Vorschlag und Life Hack: Wenn Ihr das nächste Mal mit Eurem Team Essen geht und am Ende die Bedienung mit der Rechnung in der Hand die Frage stellt: “Zusammen oder getrennt?” Dann antwortet einfach: “Ja! Beides!”