Unsere besten Methoden zur Entscheidungsfindung bei der digitalen Zusammenarbeit. Und über die Kraft, manchmal trotzdem alles wieder in Frage zu stellen.
“Das Leben besteht aus Entscheidungen!”– das hat mein Großvater früher immer zu uns gesagt. Und so platt diese Aussage auch erscheinen mag, natürlich hatte er recht damit. Laut dem Münchner Hirnforscher Ernst Pöppel treffen wir täglich rund 20.000 Entscheidungen. Die meisten davon sind ganz persönlich und laufen innerlich ab, aber einige treffen wir auch im Kollektiv mit anderen.
Entscheidungsfindungen im Team sind schwierig, wenn sie als Rede und Gegenrede in lähmenden Konsensdebatten enden. Um das zu vermeiden, führen wir früh im Prozess Abstimmungen durch – natürlich nachdem jede Person gehört wurde. So kommen wir schnell zu einer Entscheidung, auf deren Basis dann weitergearbeitet werden kann. Im digitalen Raum ist das besonders wichtig, weil zähe Konsensdebatten über Bildschirm noch schlechter funktionieren als analog und weil sie einfach miese Laune machen.
Mit welchen Methoden wir bei Online-Workshops oder virtuellen Teammeetings zu guten und schnellen Entscheidungen im Team kommen, stellen wir Euch hier vor:
1. „Quick and dirty“: Entscheidung über den Chat
Eine einfache Entscheidung, die nicht anonym getroffen werden muss, kann schnell über den Chat abgefragt werden. Den verschiedenen Optionen werden Buchstaben oder Zahlen (A-B-C oder 1-2-3) zugeordnet und alle TeilnehmerInnen tippen ihr Voting in den gemeinsamen Chat.
Beispiel: Was machen wir beim Betriebsausflug?
A = Fahrradtour
B = Biergarten
C = Bowling
Das Ergebnis mit den meisten Stimmen im Chat gewinnt.
2. Visuell und anonym: Mentimeter
Eine effiziente und anonyme Abstimmungsmöglichkeit, die gleichzeitig auch noch schön aussieht und Spaß macht, bietet das interaktive Tool Mentimeter.
Hier kann man Umfragen erstellen und visuell gestalten, bei denen die TeilnehmerInnen ihre Antwortoption einfach und anonym über Smartphone oder PC auswählen können. Das einzige, was sie dafür tun müssen, ist die Eingabe eines sechsstelligen Erkennungscodes unter www.menti.com Ein großer Vorteil ist, dass man entscheiden kann, ob die TeilnehmerInnen das Ergebnis erst angezeigt bekommen, wenn alle abgestimmt haben. So beeinflussen sie sich nicht gegenseitig bei der Wahl!
3. Einfach und intuitiv: Dot Voting
Wir arbeiten bei der Ideenentwicklung mit digitalen Whiteboards wie Mural oder Miro, die integrierte Dot Voting-Funktionen haben. Dies ist eine einfache und unkomplizierte Methode, um gesammelte Ideen in der Gruppe zu bewerten und zu priorisieren.
Und so geht’s: Genauso wie bei den herkömmlichen analogen Klebepunkten bekommt jedes Gruppenmitglied vom Host eine gewisse Anzahl an Stimmen in Form von Punkten zugewiesen. Nun geben alle ihr Voting innerhalb einer bestimmten Zeit ab, indem sie die Punkte auf ihren Lieblingsideen platzieren. Die Ideen mit den meisten Punkten werden weiterentwickelt!
Wir mögen Dot-Voting, weil es sich auch für komplexere Abstimmungen mit mehreren Ideen und Themen eignet. Digital funktioniert es noch viel besser als analog, weil die TeilnehmerInnen während des Prozesses nicht sehen, wer welche Idee wie bewertet.
Ihr arbeitet nicht mit Miro oder Mural? Kein Problem, auch Tools mit einfacher integrierter Voting-Funktion wie etwa Fun-Retro ermöglichen diese Art der Abstimmung!
4. Mit umgedrehten Vorzeichen: Systemisches Konsensieren
Bei dieser Form der Entscheidungsfindung wird von den Beteiligten nicht die
Zustimmung zu einem Vorschlag erfragt, sondern das Ausmaß des Widerstands dagegen. Das ermöglicht ein Endergebnis mit größtmöglichem Gruppenkonsens.
Die TeilnehmerInnen überlegen sich für jede Option, wieviel inneren Widerstand sie dieser gegenüber empfinden und äußern diesen beispielsweise per Fingerzeig:
Eine Faust mit keinem erhobenen Finger bedeutet gar keinen Widerstand, zehn erhobene Finger kommen einem Veto gleich und der Vorschlag muss auf jeden Fall überarbeitet werden. Ab einem Widerstand von sieben oder acht Fingern ist man aufgerufen, die Argumente und Gründe für diese hohe Ablehnung mit den anderen zu teilen. Am Ende werden die Widerstände aller Beteiligten addiert und der Vorschlag mit der niedrigsten Zahl angenommen.
Das Fass nochmal aufmachen?
So weit so gut. Doch der beste Entscheidungsfindungsprozess garantiert leider noch lange nicht, dass danach immer alles in die richtige Richtung läuft. Die meisten von uns kennen wahrscheinlich die Situation, dass beispielsweise während eines Ideen-Workshops am Ende der Ideation-Phase in der Gruppe eine demokratische Wahl getroffen und darauf basierend an einer bestimmten Idee weitergearbeitet wird – und dennoch beschleicht einen im Nachgang langsam aber sicher das Gefühl: War doch nicht so toll! Das führt hier zu nichts!
» Überwindet man sich und spricht die eigenen Zweifel empathisch an und erklärt, weshalb man sich mit der Entscheidung gerade unwohl fühlt, kann im Grunde nämlich nicht viel schiefgehen.«
Oft beginnt man dann erst einmal das Verhalten der anderen Gruppenmitglieder auf Indizien hin zu analysieren, die erkennen lassen, ob es ihnen genauso geht: Sind die anderen nach wie vor überzeugt von der Idee? Wie spricht man so etwas an, wo doch bestimmt alle erleichtert sind, dass endlich eine Entscheidung gefällt wurde? Gar nicht so einfach! Oft sitzen wir diese Momente aus, weil wir dazu neigen, Konflikte und Zurückweisung zu umgehen und die freie Wahl als demokratisches Mittel zu heiligen, ganz nach dem Motto: Jetzt haben wir so viel diskutiert und uns die Mühe gemacht, eine durchdachte und faire Abstimmung durchzuführen – dieses Fass machen wir jetzt nicht nochmal auf!
Wir sind hingegen der Meinung, dass dies häufig durchaus sinnvoll ist und dass Revisionskompetenz eine wichtige Führungs- und Team-Stärke darstellt, deren Techniken wir üben sollten. Überwindet man sich und spricht die eigenen Zweifel empathisch an und erklärt, weshalb man sich mit der Entscheidung gerade unwohl fühlt, kann im Grunde nämlich nicht viel schiefgehen. Entweder, den anderen geht es genauso und die Gruppe entscheidet sich dazu, den Prozess nochmal zu öffnen und neu zu wählen, oder man erfährt, dass die Mehrheit der anderen Teammitglieder zufrieden und frohen Mutes ist – und kann sich eventuell sogar durch ihre Argumente neu von der gewählten Option überzeugen lassen. Beides ist besser als der unausgesprochene Zweifel, der unzufrieden macht, lähmt und zu schlechten Vibes im Team führt.